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Channel: Schulaufgaben – Lehrerzimmer
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Erzählen mit Perspektivenwechsel, die Schulaufgabe

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Bei den letzten Schulaufgaben (für Leute außerhalb Bayerns: angekündigte, benotete Aufsätze, heftig benotet) meiner 6. Klasse habe ich mich beim Korrigieren sehr unterhalten. Eines der Themen, angelehnt an diese Übung (und die), sah so aus:

Zwei Leute haben sich verabredet, um ins Kino zu gehen. (Möglich: Kind/Elternteil, Freunde.) Einer von beiden ist pünktlich und wartet vor dem Kino und wird ungeduldig oder besorgt, weil der andere nicht kommt. Der oder die andere hat sich verspätet und beeilt sich sehr, um noch rechtzeitig zu kommen.
Erzähle das, indem du zwischen den Perspektiven der beiden abwechselst. Schildere anschaulich das Innenleben der beiden. Schreibe unterhaltend, aber übertreibe nicht; benutzte Vergleiche oder Metaphern. Am Schluss der Erzählung sollen Sie sich treffen.
Erzähle in der 3. Person.

Die Schülerinnen und Schüler haben viele Varianten dazu gemacht – Freunde, Freundinnen, Kinder und getrennt lebende Elternteile. Sehr häufig war auch das Liebespaar, das sich verabredet hatte – und an das ich beim Themenstellen gar nicht gedacht hatte. Hier die schöne Lösung einer Schülerin – 6. Klasse, 55 Minuten Arbeitszeit, 770 Wörter, gelegentliche Rechtschreib- und Kommafehler verbessert, Absätze waren bereits in dieser Form vorhanden:

Er rümpfte seine Nase. Es war schon viertel vor acht. In fünfzehn Minuten würde der Film beginnen anfangen. Irgend so eine romantische Schnulzengeschichte. Ein tiefer Seufzer entwich ihm. Von so viel Liebe und Personen, die sich Namen wie „Schnuckebärchen“ oder „Honigkuchenpferd“ gaben, hatte er wenig Ahnung. Ihm waren diese Leute relativ egal. Trotzdem wartete er nun schon seit geschlagenen weiteren 15 Minuten vor dem riesigen Kino, dessen Leuchtschriften und Plakate die nächtliche Atmosphäre dieses Stadtteiles etwas erhellten. Obwohl seine digitale Armbanduhr, auf die er in der vergangenen Zeit mehrmals nervös und stöhnend einen Blick geworfen hatte, erst 20.50 Uhr zeigte, lag die zu kleine Nebenstraße des Kinos verlassen vor ihm. Eigentlich wollte er gar nicht hier sein. Er hätte genau so gut zu Hause bleiben und einen gemütlichen Abend verbringen können. Aber wieder einmal hatte ihn seine Freundin Stella dazu überredet, ihr diesen einen Gefallen zu tun. Wie immer war das Argument, dass es nur dieser eine war und er in letzter Zeit viel zu wenig bei ihr war. Tja, wie immer eben. Was tut ein Mann nicht alles, um die Welt der Frauen erträglicher zu machen.

Sie musste sich beeilen. Ihr ausgemachter Zeitpunkt wäre bereits um halb acht gewesen. Nun blieben ihr nur noch sieben Minuten um ihren Weg zum Kino zu schaffen. Wieso war sie nicht mit der S-Bahn oder dem Bus gefahren? Und wieso hatte ihr Vater ausgerechnet heute dieses, wie er immer betonte, superwichtige Meeting seiner Firma, bei dem er natürlich unbedingt den Wagen für sich beanspruchte. Sie atmete tief die kalte Luft durch ihre Nase ein, ließ sie hörbar wieder hinaus. An jenem Abend hatte einfach nichts klappen wollen. Ihre Haare sahen aus wie gehäuftes Stroh, ihr Make-up machte sie sicherlich zu einem Clown im Abendkleid. Vor ihren Augen konnte sie schon ihre Mitschüler über sie tratschen sehen. Mit Worten wie: „Hast du schon gehört?“ und „Ich sag es ja, eine richtige Vogelscheuche!“ würde sie das Gespött der Schule werden. Der einzige Trost bestand darin, dass sie mir ihrem Freund Derek für einen Liebesfilm verabredet war. Man hörte nur die romantischsten Dinge über ihn. Himmlisch. Diese Erkenntnis malte ihr ein erleichtertes Lächeln auf ihr Gesicht. Nur er und sie. Verborgen ihm Dunklen des Kinosaales.

Na, toll. Da nahm er sich extra den Abend frei und sie ließ ihn einfach so sitzen. Drei weitere Minuten verstrichen ohne auch nur die kleinste Regung. Aber Moment! Das hieß ja auch, dass er nur noch vier Minuten hatte, bis er sie hier in der Kälte stehen lassen konnte. In seinem Kopf spielte sich ein weiterer Film ab: Er ging. Sie kam und… sie heulte. Nein. Das konnte er nicht machen. Nicht nachdem er es nun schon so weit gemeistert hatte. OK. Er musste ganz ruhig bleiben. Er musste einfach an schönere gemeinsame Zeit mit ihr denken. Ja. Es half ein wenig. Dies war der Beweis, dass er sie wirklich liebte. Na, gut. Ein Film. Ein lächerlicher Film. Was war das schon für eine Aufgabe für einen Mann wie ihn. Schulter zurück. Brust raus. Cool bleiben. Ja. Das war ein Mann.

Sie blieb abrupt stehen, kramte einen kleinen Kosmetikspiegel aus ihrer Handtasche hervor und warf einen letzten, prüfenden Blick hinein. Ihre Vermutung hatte sich bestätigt. Zum Teil. Lächeln. Einfach lächeln. Wenn ihm wirklich etwas an ihr lag, würde er über die kleine Schminkpanne hinweg sehen. Noch einmal atmete sie tief durch, ehe sie den Spiegel zurück steckte, ihr Sonntagslächeln aufsetzte und um die Ecke vor dem großen Gebäude des Kinos eilte. Sie beschleunigte ihren Gang, als sie ihn sah. Er sah umwerfend aus im Schein der Lampen, die in alle Richtungen ihren Glanz warfen. Majestätisch. Ja. Fast schon göttlich.

Da war sie. Endlich. Mit langen Schritten kam er ihr, um Lässigkeit bemüht, entgegen. Sie wirkte süß, gleichzeitig jedoch auch stilbewusst und elegant. Wunderschön. Aber ihr Lächeln übertraf jedes noch so strahlende Model dieser Welt. Von ihm aus konnten zehn Heidi Klums auf ihn zu kommen; er hätte nur Augen für sie. Sie, seine große Liebe.

Wie schaffte er es nur, so entsetzlich ruhig zu bleiben? Tja, er hatte wohl viele versteckte Talente. Zu denen zählte auch die Kombination seiner Lederjacke, dem weißen Shirt und der verwaschenen Jeans, die er wie der Schöpfer der Coolness zum besten trug. Ihr Bauch kribbelte, als würden viele Schmetterlinge und Flugzeuge durch ihn ihre Loopings drehen. Dieser Abend würde trotz kleiner Katastrophen perfekt werden.

Als sich die beiden nach einer scheinbar endlosen Zeit trafen, fielen sie sich in die Arme. Dabei vergaßen sie fast schon wieder den Anlass, weshalb sie hier waren. Doch das war ihnen in diesem Moment egal. Zwei Menschen. Eine große Liebe.

Natürlich ist das ein bisschen übertrieben… aber besser als zu wenig innere Handlung. Der abgeschlossene Kurzroman als Aufsatzsorte?

(Fußnote fürs nächste Mal: Nicht alle Aufsätze waren so gut, auch wenn viele Einser dabei waren. Den Unterschied zwischen erlebter Rede und wörtlicher Rede muss ich besser erklären, der war nicht allen klar. Aber ähnliche Themen gibt es viele, und die werde ich auch in Zukunft ausprobieren. Kaufhausdetektiv und möglicher Ladendieb… oder bringe ich Schüler da auf falsche Gedanken?)


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